Normalerweise versuche ich Artikel wie diesen mit einem schönen sprachlichen Bild einzuleiten. Das darf dann gerne auch etwas reißerisch und bestenfalls emotionalisierend sein. Bei diesem Thema werde ich aber versuchen, mich sprachlich möglichst nüchtern zu halten, denn es wurde in den vergangenen Wochen schon zunehmend emotionalisiert über „die“ Bezahlkarte für Geflüchtete gesprochen.
Vorrangiges Augenmerk der Debatte liegt dabei, sperrig ausgedrückt, auf der Vermeidung der Mittelverwendung für Zwecke, die nicht das eigentliche Ziel der Zuwendung sind.
Oder etwas einfacher ausgedrückt besteht die Sorge, dass Bargeld ins Ausland abgeführt wird. Um dies zu vermeiden, soll der Zugang zu Bargeld mit Hilfe einer Bezahlkarte sehr deutlich eingeschränkt werden.
Warum dies sowohl rechtlich als auch moralisch angreifbar ist, hat unter anderem die Refugee Law Clinic der Universität Kiel in einer Einschätzung zusammengefasst:
Hier soll es aber primär um die technischen, kaufmännischen und prozessualen Implikationen gehen, die sich aus den erklärten Zielsetzungen und der angedachten Lösung ergeben.
Die Bezahlkarte für Geflüchtete scheint eine einfache Lösung für ein kompliziertes Problem zu sein. Was im Diskurs dabei außer Acht gelassen wird, ist die Tatsache, dass die hierzu benötige Zahlungsverkehrsinfrastruktur den Anforderungen nur in sehr geringem Maße entsprechen kann und sich auch unbeabsichtigte Implikationen für Händler und zudem Widersprüche zur europäischen Payment-Strategie ergeben.
Politische Kernanforderungen
- Eine guthabengeführte, wiederaufladbare Bezahlkarte
- Ausschluss von Bargeldbezug über die Bezahlkarte
- Einschränkung bis hin zum Ausschluss von Transfers/Überweisungen (insbesondere ins Ausland)
- Davon abgeleitet weiterführend: Ausschluss des Abflusses der Mittel ins Ausland
- In Teilen diskutiert, aber derzeit nicht als feste Anforderung aufgenommen: Zweckbindung bzw. Ausschluss bestimmter Warengruppen
- Beschränkung der überregionalen Einsetzbarkeit
Eine guthabengeführte, wiederaufladbare Bezahlkarte
Diese grundsätzliche Forderung ist auf vielfältige Arten umsetzbar. Ein klassisches Girokonto mit einer zugehörigen Debitkarte wäre hierbei die am meisten verbreitete Lösung, beispielsweise in Verbindung mit der bewährten girocard oder auch einem internationalen Debit-Produkt von Visa oder Mastercard. Aber auch Prepaid-Produkte wären als Lösung denkbar.
Ausschluss von Bargeldbezug über die Bezahlkarte
Zwei Zugänge zu Bargeld stehen dabei im Fokus: Auszahlungen an Geldautomaten und der Bezug als so genanntes Cashback beim Einkauf im Supermarkt mit Kartenzahlung. Beides lässt sich über den Kartenaussteller (Issuer) für die Bezahlkarte deaktivieren.
Einschränkung bis hin zum Ausschluss von Überweisungen (insbesondere ins Ausland)
Sofern es sich um eine reine Prepaid-Karte handelt, ist eine klassische Überweisung nicht direkt möglich, da kein klassisches mit einer IBAN-versehenes Girokonto die Basis bildet. Bei einer Umsetzung als Debit-Karte mit einem entsprechenden Konto wäre eine Einschränkung des Funktionsumfangs vorzunehmen. Hier stellt sich die prozessuale Frage, wie eine solche Einschränkung ausfiele und nachfolgend, ob sie in Einklang mit dem IBAN-Diskriminierungsverbot zu bringen ist. Insbesondere die Erreichbarkeit für Lastschrifteinzüge aus dem EU-Ausland scheint bei erster Betrachtung unvereinbar.
Ausschluss des Abflusses der Mittel ins Ausland
Selbst wenn alle zuvor genannten Anforderungen erfüllbar wären und standhielten, stellt sich die Frage, ob das eigentliche Ziel erreichbar ist: zu verhindern, dass bereitgestellte Mittel das Land verlassen. Auch dann, wenn kein direkter Barmittelbezug mehr möglich wäre, gibt es doch leicht beschaffbare Äquivalente, die international auf breite Akzeptanz stoßen. In der großen Mehrheit von Supermärkten, Kiosken und Tankstellen besteht die Möglichkeit, Gutscheinkarten der unterschiedlichsten Marken zu beziehen. Diese lassen sich anonym und nahezu in Echtzeit zum Einsatz bringen und wären bei Verwendung einer Bezahlkarte nicht vom Bezug ausgeschlossen.
Angesichts der pro Einzelperson geringen monatlich zur Verfügung stehenden Beträge wäre auch ein Erwerb bei geringeren Beträgen je Einzelgutschein mit überschaubarem Aufwand möglich. Gutscheine bekannter Marken stoßen international auf große Akzeptanz und lassen sich im jeweiligen Empfangsland in der Regel ohne große Verluste wieder in Bargeld eintauschen bzw. weiterverkaufen.
So es bei der Einführung der Bezahlkarte wirklich um die Verhinderung des Bargeldabflusses geht, ist die Maßnahme ohne Ausschluss von Gutscheinkarten- bzw. E-Geld-Bezug daher von vornherein als nicht zielführend anzusehen. Entsprechende Erkenntnisse lassen sich auch aus Bereichen der Cyberkriminalität und etwaiger Betrugsmaschen ziehen, die Gutscheine als Bargeld-Äquivalente missbrauchen.
(siehe auch: https://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html?nodeId=GGKDN3QZSKBFGNBFund https://support.apple.com/de-de/gift-card-scams)
Zweckbindung bzw. Ausschluss bestimmter Warengruppen
Für die Vermeidung eines solchen Einsatzes der Bezahlkarte oder auch für die bereits andiskutierte Idee, einzelne Waren- bzw. Artikelgruppen vom Bezug auszuschließen, wäre die Prüfung der zu erwerbende Produkte spätestens bei der Autorisierung notwendig. Eine allgemeinverfügbare derartige Prüfung im Rahmen des Zahlvorgangs existiert nicht. Beim Bezahlvorgang wird eine Vielzahl von Parametern ausgetauscht. Die dezidierte Zusammensetzung des Warenkorbes wird jedoch nicht übermittelt.
Dieser Prüfung am nächsten käme noch ein Ausschluss einzelner Akzeptanzpunkte, da jeder POS (Point of Sale) einer primären Branche zugeordnet wird. So könnten beispielsweise generell Akzeptanzstellen aus dem Bereich Glücksspiel ausgeschlossen werden. Bei den auch diskutierten Tabakwaren oder Alkohol reicht eine solche Eingrenzung jedoch nicht, da diese Waren in breit sortierten Geschäften ebenfalls vorkommen. Ein Ausschluss der zuvor genannten Gutschein- bzw. E-Geld-Produkte kann an dieser Stelle damit ebenso wenig vorgenommen werden.
Eine Prüfung der einzelnen Artikel müsste somit noch vor der Autorisierung in den Kassensystem der jeweiligen Akzeptanzstellen durchgeführt werden, wobei weder klar ist, wie das System erkennen soll, dass die Transaktion für die Prüfung relevant ist, noch wie ein solch immenser Eingriff in die Systeme sämtlicher Einzelhändler deutschlandweit umzusetzen wäre oder wer die Kosten hierfür trägt. Eine derartige Prüfung kann daher nur ein theoretisches Gedankenspiel sein. Die Möglichkeit, einer selektiven Autorisierung einzelner Warengruppen bleibt somit kurz- und mittelfristig unerreichbar.
Hinweis: es gibt einzelne branchenspezifische Payment-Produkte, die durchaus in der Lage sind, Prüfungen auf die Warenkorbzusammensetzung durchzuführen. Diese sind aber in der Regel auf einzelne Unternehmen beschränkt, proprietär und verfolgen eine gänzlich andere Zielsetzung (z. B. zweckgebundene Gutscheine einzelner Ketten, Flottenkarten im Tankstellenumfeld).
Beschränkung der überregionalen Einsetzbarkeit
Bezahlkarten führen im Standard nur einen Abgleich zwischen Ausstellungsland der Karte und dem Land, an dem die Akzeptanzstelle registriert ist, durch. Eine Verwendung der Karte im Ausland kann somit sicher ausgeschlossen werden. Die darüberhinausgehende in Teilen gewünschte regionale Limitierung innerhalb Deutschlands lässt sich mit den Bordmitteln einer Debit- bzw. Prepaidkarte nicht direkt lösen. Hierfür bedarf es der Lösungen spezialisierter Dienstleister, die eine solche Limitierung unter bestimmten Umständen durchführen können. Dies engt aber das Feld möglicher Umsetzungspartner deutlich ein und bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich.
Darüber hinaus ergeben sich Problemstellungen:
- Erhöhte Systemgebühren als Belastung des Handels
- Ausschluss von Händlern als mögliche Akzeptanzstellen
- Gegenläufige Technologie-Auswahl zur Retail Payment Strategie und weiterer pro-europäischer Bemühungen im Payment-Umfeld
Erhöhte Systemgebühren als Belastung des Handels
Die Kombination der Anforderungen insbesondere hinsichtlich der Einschränkung der regionalen Einsetzbarkeit grenzen das Feld der Lösungsanbieter weitestgehend auf solche mit Debit-Produkten der internationalen Card Schemes VISA und Mastercard ein.
Diese sind im direkten Vergleich der Entgelte für die Transaktionsabwicklung für Händler teurer als z. B. der Marktführer girocard. Dies liegt zum einen an zumeist voller Ausreizung des gesetzlich maximal zulässigen Prozentsatzes für das Interchange Entgelt, vor allem aber an den weiteren Gebührenbestandteilen, insbesondere den so genannten Card Scheme Fees. Somit wird in Summe ein in der Abwicklung am Terminal teureres Zahlverfahren ausgewählt.
Die meisten der in Betracht kommenden Dienstleister haben bereits Produkte zum Handling der steuerfreien Sachbezugs im Portfolio, bei dem sehr ähnliche Anforderungen bestehen. Hierbei können nur Transaktionen kooperierender Händler autorisiert werden. Da alle Akzeptanzstellen mit weiterführenden Daten explizit bekannt sind, kann realisiert werden, dass z. B. nur Käufe bei Händlern in einem bestimmten Postleitzahl-Gebiet autorisiert werden. Hierzu wird ein Kooperationsvertrag zwischen Händler und Dienstleister geschlossen, ein Onboarding der Händler durchgeführt und für die Vermittlung der zusätzlichen Umsätze eine weitere Servicegebühr gegenüber dem teilnehmenden Händler abgerechnet
Höhere Transaktionskosten und Gebühren für die Systemteilnahme, noch dazu in Branchen mit eher geringen Margen wie dem Lebensmitteleinzelhandel, sorgen somit für eine starke finanzielle Belastung des Handels.
Ausschluss von Händlern als mögliche Akzeptanzstellen
Wenngleich die Kartenakzeptanz mittlerweile vielerorts nahezu flächendeckend gegeben ist, gibt es noch viele Terminals, an denen ausschließlich die girocard akzeptiert wird. Diese wären von Umsätzen mit einer Bezahlkarte auf Basis eines internationalen Karten Schemes ausgeschlossen. Wesentlich stärker trifft dies noch auf Lösungen mit zusätzlicher Systemteilnahme zu. Zudem ist der Erfolg von Verhandlungen für Transaktionskosten sehr stark vom Gesamtvolumen der umgesetzten Kartenumsätze abhängig, so dass kleine Händler in der Regel noch deutlich höhere Gebühren zu bezahlen haben. Es ist zu erwarten, dass viele kleine Händler somit stark benachteiligt sind und von den Umsätzen der Bezahlkarte für Geflüchtete ausgeschlossen werden.
Gegenläufige Technologie-Auswahl zur Retail Payment Strategie und weiterer pro-europäischer Bemühungen im Payment-Umfeld
Die Retail Payments Strategy der EZB, die aktuelle Instant Payments Verpflichtung der EU, EPI (die European Payments Initiative), Bemühungen um einen digitalen Euro – all diese derzeit in Entwicklung bzw. Umsetzung befindlichen europäischen Ansätze im Payment haben sich das Ziel gesetzt, europäische Payment Ressourcen aufzubauen, zu stärken und die Abhängigkeit von nicht-europäischen Payment-Akteuren zu reduzieren. Durch die jetzigen Vorgaben an die Bezahlkarte für Geflüchtete ist es jedoch nahezu ausgeschlossen, eine technologische Lösung auf Basis europäischer Ressourcen zu finden und konterkariert somit die übrigen Bemühungen in diesem finanzpolitischen Bereich. Die Symbolkraft dessen sollte nicht unterschätzt werden.
Abschließend
Losgelöst positiv zu betrachten ist das Ziel, eine Digitalisierung des Auszahlungsprozesses von Leistungen für Geflüchtete zu verfolgen. Damit ließe sich generell die Möglichkeit schaffen, Geflüchteten Kartenzahlungen zu ermöglichen. Zudem besteht die Chance, dass die Bundesländer im Verbund eine einheitliche Infrastruktur schaffen für derartige Leistungen und so Synergien im Bereich der Prozess-Optimierung heben. Zudem könnten hieraus Erfahrungswerte für andere staatliche Auszahlungsmechanismen gesammelt werden.
Es soll auch keineswegs die Qualität der in Teilen referenzierten Produkte in Frage stellen. Diese bringen unterschiedlichste Mehrwerte in unseren Alltag und auch die zu Grunde liegenden Geschäftsmodelle haben sich bislang am Markt bewährt. Aber gerade bei öffentlichen Aufträgen gilt auch eine besondere Sorgfaltspflicht und wenngleich es Produkte gibt, die die Anforderungen der Ausschreibungen voll erfüllen, sollte dennoch hinterfragt werden, ob die richtigen Fragen bei der Auswahl gestellt wurden, um der dahinter liegenden Intention gerecht zu werde.
Zu guter Letzt verschafft die aktuelle Diskussion eine erhöhte Aufmerksamkeit für Zahlungsverkehrs-Themen, durch die sich Bewusstsein und Wissen um Payment-Prozesse in der gesamten Bevölkerung schärfen lassen. Hierzu bedarf es aber einer präzise geführten Debatte. Von zum Teil bereits polemisierten Forderungen und vermeintlich einfachen Bargeldverboten als Heilsbringer sollte Abstand genommen werden.
Da es sich bei den obenstehenden Inhalten um eine persönliche Einschätzung aus fachlicher Perspektive handelt, ist dieser Artikel mit einigen Disclaimern versehen:
Die hier bereitgestellten Informationen stellen keine Rechtsberatung dar und sollen keine rechtlichen Fragen oder Probleme behandeln, die im individuellen Fall auftreten können. Die Informationen sind allgemeiner Natur und dienen ausschließlich zu Informationszwecken. Wenn Sie rechtlichen Rat für Ihre individuelle Situation benötigen, sollten Sie den Rat von einem qualifizierten Anwalt einholen.
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